„Theatergruppe International“ erforscht groteske Abgründe
Westerburger Ensemble arbeitet seit einem Jahr zusammen und probt neue Stücke – Aufführung in Montabaur
Grotesk, tiefgründig und schwarzhumorig: Mit Slawomir Mrozeks Stücken „Der Hirsch“ und „Auf hoher See“ hat sich die Westerburger „Theatergruppe International“ zwei Werke vorgenommen, bei denen das Lachen im Halse stecken bleibt. Damit die skurrilen Dialoge zünden, muss die Laiengruppe bis zur Vorpremiere am 21. September um 15 Uhr im
Montabaurer „b-05“ noch proben – zumal einige Mitglieder erst seit kurzer Zeit deutsch sprechen.
Denn die „Theatergruppe International“ ist kein normales Ensemble. Hier teilen sich Menschen aus verschiedenen Ländern dieselbe Bühne. Die Mitglieder kommen aus Deutschland, aus der Ukraine, aus Namibia. Initiiert hat das Projekt der Arbeitskreis „Soziales Westerburg“, ein Bündnis der Stadt und Verbandsgemeinde Westerburg, der Kirchen, Schulen, Kitas und sozialer Einrichtungen wie der Regionalen Diakonie Westerwald. Finanziert wurde es von der Diakonie Hessen.
Vor rund einem Jahr trifft sich die Gruppe zum ersten Mal und probt „Der kleine Prinz“. Von Anfang an mit dabei: die Regisseurin Bärbel Vienna-Garn, Theater-Urgestein und leidenschaftliche Pädagogin. Sie weiß, wie sie der bunten Truppe Antoine de Saint-Exupérys Stück vermittelt und schafft etwas Bemerkenswertes: In nur vier Monaten gelingt eine berührende Inszenierung – trotz aller kulturellen und sprachlichen Unterschiede.
Die aktuelle Besetzung wagt sich nun an die beiden Einakter „Der Hirsch“ und „Auf hoher See“. Zwei groteske und im Kern hochpolitische Stücke. In dem einen geht es um eine Gruppe Bahnreisender, die einen Hirsch gesichtet haben wollen – und denjenigen zum Feind erklären, der die Begeisterung für das Waldtier nicht teilt. „Auf hoher See“ ist noch skurriler: Schiffbrüchige treiben in einem Floß übers Meer und müssen mit Abstimmungen, Wahlkämpfen und Argumentationen entscheiden, wer sich von ihnen opfert, damit die anderen nicht verhungern.
Foto: Peter Bongard
Beide Werke sind im Vergleich zum epischen „Prinzen“ eher kurze Kammerspiele. Das macht’s für die Schauspielerinnen und den Schauspieler nicht einfacher. Denn das Timing muss hier besonders präzise sitzen. Und Bärbel Vienna-Garn legt großen Wert auf schauspielerische Präzision: Bei der Probe im katholischen Pfarrsaal Christkönig in Westerburg geht’s um solche Feinheiten. In der ersten Szene des „Hirschs“ steigt eine Gruppe von Menschen in einen Zug. Die Regisseurin arbeitet akribisch an Gesten und an den Blicken der Akteure („Die Leute müssen sehen, dass Ihr etwas seht!“). Sogar die richtige Position der Füße entgeht der 75-Jährigen nicht: „Achte darauf, wie Du stehst! Du bist diejenige, die im Zug das Sagen hat“, ruft sie einer Schauspielerin zu.
Die Akteurinnen und Akteure wissen, dass bis zur Vorpremiere am 21. September und zur Premiere am 26. Oktober in der Westerburger Stadthalle noch einiges zu tun ist. Auch Marina Jung, die seit dem „Kleinen Prinzen“ mitspielt, weiß, wie wichtig die Feinheiten sind. „Wenn wir zu spät aufeinander reagieren, funktionieren die Dialoge dieser hintergründigen Stücke nicht. Das müssen wir noch üben.“ Die Feinarbeit ist besonders für diejenigen eine Herausforderung, die erst seit kurzer Zeit deutsch sprechen. Zum Beispiel für die beiden Ukrainerinnen Tatyana Sizetsewa und Tania Maltseva. „Die neuen Stücke sind schwierig, weil wir mehr Text lernen müssen“, sagt Tatyana Sizetsewa und findet die Dialoge „gehobener“ als die des „Kleinen Prinzen“. Eine weitere Herausforderung: „Der Kleine Prinz“ hat auch von dem visuell ansprechenden Bühnenbild gelebt. Das ist bei „Der Hirsch“ und „Auf hoher See“ spartanischer. „Wir müssen also mehr spielen“, sagt sie. Für die beiden Ukrainerinnen ist das aber keine Hürde, sondern eine Herausforderung. Und die nehmen sie gerne an: „Zuerst kamen wir hier hin, um ein Stück zu proben. Aber jetzt wollen wir es besser machen. Jetzt wollen wir es nicht nur aufführen, sondern spielen“, sagt Tania Maltseva.
Die Lust am Spielen hat auch Axel Beimdiek gepackt: Er ist der einzige Mann in der Runde und wurde durch einen Zeitungsartikel auf die Gruppe aufmerksam. „Diese Theater-Idee hat mich sofort fasziniert“, sagt er und erinnert sich noch gut an seine ersten Proben in Westerburg; an Bewegungsübungen und an Rollenspiele. „Inzwischen bin ich Feuer und Flamme – auch wenn mir das Auswendiglernen des Textes ab und zu schwerfällt“, sagt er schmunzelnd.
Bühnenerfahrung hat er bislang keine – so wie diese Laiendarstellerin: „Ich habe mal bei einem Krippenspiel mitgespielt, aber das ist schon lange her“, sagt die junge Frau und lacht. Auch sie genießt die Arbeit mit der Gruppe und bewundert besonders die Nicht-Muttersprachlerinnen: „Es ist eine enorme Leistung, einen Text in einer fremden Sprache mit Leben zu füllen.“
Für Michelle Olivier aus Namibia und ihre achtjährige Tochter Maya ist die „Theatergruppe International“ mehr als nur ein schönes Hobby. „Ich habe meinen Deutschkurs zwar bestanden, möchte die Sprache aber noch besser lernen“, sagt Michelle, deren Muttersprache Englisch ist. „Das Theater hilft meiner Tochter und mir, tiefer in die Sprache einzutauchen. Und wir können zuhause gemeinsam unseren Text üben. Außerdem ist Bärbel eine tolle Lehrerin.“
Als Lehrerin sieht sich Bärbel Vienna-Garn heute nicht mehr. Aber als Pädagogin. Als jemand, der eine Gruppe auf einen guten, kreativen Weg bringt. „Wir fangen nach dem ,Kleinen Prinzen‘ im Grunde wieder von vorne an“, sagt sie. „Ein paar erfahrene SchauspielerInnen haben das Ensemble inzwischen verlassen; neue sind hinzugekommen. Aber das ist ganz normal, dass sich eine Gruppe wandelt“, sagt sie.
Auch für sie ist Theater mehr als die Proben und Aufführungen. Gerade in einem außergewöhnlichen Ensemble wie der „Theatergruppe International“: „Hier treffen viele Menschen und viele Schicksale aufeinander“, sagt Bärbel Vienna-Garn. „Aber wir haben ein Ziel, das uns eint – und für das ich gerne das weitergebe, was ich ein Leben lang gelebt habe: die Freude am Theater. Denn die ist bei mir unendlich.“ (bon)
Die Aufführungen der beiden Einakter „Der Hirsch“ und „Auf Hoher See“ finden am Samstag, 21. September, um 15 Uhr im Montabaurer „b-05“ (Im Stadtwald 2) und am 26. Oktober um 19 Uhr in der Stadthalle Westerburg statt. Eine weitere Aufführung gibt es am Sonntag, 17. November, um 17 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus Wallmerod (Mühlenpfad 1). Der Eintritt ist frei.